Der gute Hirte

Liebe Leserinnen und Leser,
am 4. Ostersonntag hören wir jedes Jahr traditionell einen Ausschnitt aus dem 10. Kapitel des Johannesevangeliums, in dem der Evangelist uns die Worte Jesus als dem Guten Hirten überliefert.
Das Bild vom Hirten und der Herde war den Menschen damals zur Zeit Jesu sehr vertraut, im Gegensatz zu heute. Es wurde schon im Alten Testament auf die Beziehung von Gott und seinem Volk übertragen (vgl. z.B. Ps 23). Jesus ist an diesem Bild wichtig, dass der Hirt jedes Schaf beim Namen kennt und sich um jedes Einzelne sorgt, es beschützt und auf grüne Wiesen führte. Die Schafe wiederum folgten nicht blind und dumm, sondern kannten auch den Hirten und seine Stimme, sie wussten, dass sie ihm vertrauen konnten, dass er es gut mit ihnen meinte.
Wenn wir auf uns heute schauen, so wollen die meisten von uns keine Herdentiere sein und sich auch ungern sagen lassen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Wir gehen gerne unsere eigenen Wege und probieren sie aus. Am liebsten wären wir wohl selber eher Hirte als Schaf, wenn wir uns in diesem Bild wiederfinden sollten.
Die Pfarrer, aber auch Bischöfe werden in der christlichen Tradition oft „Pastöre“ genannt, was das lateinische Wort für „Hirten“ ist. Gläubige können heute ihren Pastören und Bischöfe oft nicht mehr vertrauen, weil sie von ihnen enttäuscht sind, weil sie nicht so handeln oder leben, wie es von ihnen erwartet wird oder wie sie selbst predigen. Aber auch, weil sie weder „Tür“ noch „Wegweiser“ zum Evangelium sind, durch die Gläubige heute noch ihre Weide finden können, also ihr Glück oder das Leben in Fülle. Wenn dann noch (Macht-) Missbrauch und Lügen hinzukommen, sind diese Pastöre zu Recht nicht mehr als Hirten akzeptiert und gelitten. Wen wundert’s!
Und dabei wissen wir alle, dass keiner von uns ohne Fehler und Sünde ist. Wir sollten aber auch nicht den Eindruck erwecken, dass wir perfekt sind und möglichst auch immer konkret Fehler und Schuld benennen und eingestehen können, wenn sie uns passiert sind.
Von Jesus heißt es, dass er ohne Sünde und Schuld war. Das will ich gerne glauben. Und trotzdem war er ganz Mensch, hatte bei allem Vertrauen auf seinen Vater auch Angst und Zweifel und konnte mit den Menschen mitfühlen. Er suchte sogar bewusst die Gemeinschaft mit Zöllner und Sündern und hielt Mahl mit ihnen, während Pastöre unserer Kirche „Sünder“ und Andersdenkende immer noch von der Eucharistie und der Gemeinschaft ausschließen und ihnen mit Unverständnis begegnen.
Ich möchte meinen Traum nicht aufgeben, dass unsere Kirche und die, die das Sagen in ihr haben, wieder Christus ähnlicher und gemäßer werden.
Ihnen allen wünsche ich einen schönen, erfüllten und gesegneten 4. Ostersonntag!
Ihr Winfried Kissel, Pfr.